Nadine Primo

View Original

Interview mit Jan Willems: Bi+ und poly Aktivist.

Welche Diskriminierungen/Vorurteile erlebst du (speziell als bisexueller Mann)?

Du kannst dich nicht entscheiden.

Du bist doch eigentlich schwul.

Bisexuelle können nicht treu sein.

Bisexualität gibt es gar nicht.

Du willst doch mit jedem ficken.

Das ist nur eine Phase.

Du hast doppelt Auswahl.

Die stecken dich mit Krankheiten an.

Die können gar nicht monogam sein.

 

Speziell schwule Männer glauben dir nicht, dass du bi bist, und denken du bist auf der Durchreise zur Homosexualität und kannst es dir nicht eingestehen.

Speziell heterosexuelle Frauen hatten schon öfter verlauten lassen, dass sie es ekelhaft fänden, wenn ihr Freund/Mann etwas mit Männern hätte oder mal hatte. Etwas was mich glaube ich mit am meisten getroffen hat und mich auch vor meinem Outing wahnsinnigster Druck gesetzt hat. Ich hatte Angst davor meine Frau könnte mich als widerlich ansehen.

 

Seit wann bist du „out“? Welches Outing war am schwersten?

Das erste Mal laut ausgesprochen habe ich es, glaube ich, 2018 vor meinem Bruder (selbst schwul). Ich wusste nicht, wem ich mich anvertrauen sollte und er war derjenige, der mir am nächsten stand - von dem ich durch seine Homosexualität am wenigstens negative Reaktionen erwartet hatte. Es fiel mir damals unfassbar schwer das auszusprechen, aber noch schwerer und eigentlich auch das Schwierigste war das Coming-Out vor meiner Freundin (jetzt Frau). Ich weiß noch, dass mir super schlecht war und meine Gefühle in diesem Moment wie eine physische Gewalt gegen mich gearbeitet haben.

Letztendlich hat sie mich gedrängt ihr zu sagen, was los ist, weil sie gemerkt hat, dass ich super seltsam drauf war und es mir nicht gut ging. Ich habe einfach gemerkt, dass das Bedürfnis es ihr zu erzählen immer größer wurde und ich es langsam nicht mehr zurückhalten konnte. Als ich es ausgesprochen habe, hatte ich ein Kissen im Gesicht. Ich konnte sie dabei gar nicht anschauen, weil ich so eine riesige Angst vor ihrer Reaktion hatte. Sie hat mir signalisiert, dass alles in Ordnung ist im ersten Moment. Im zweiten Moment war sie jedoch auch super überfordert, weil sie gar nicht wusste, was das jetzt für uns bedeuten sollte. Es war sehr tränenreich, aber durch viel reden wurde ihr bewusst, dass mein Outing nichts an unserer Liebe ändert.
Das so richtig öffentliche Coming-Out auf meinem Blog kam erst viel später, nämlich 2020. Kurz davor hatte ich mich bei Familie und Freunden geoutet. Das verlief größtenteils problemlos und fiel mir damals auch eigentlich einfach.

 

Welche Erfahrung war zuerst: hetero- oder homosexuell?

Bis zu meinem Coming-Out hatte ich ausschließlich heterosexuelle Erfahrungen und Beziehungen, zumindest öffentlich. Im Pubertätsalter gab es einige Experimente mit Jungs aus meiner Klasse. Zählt man das dazu, dann waren es doch homosexuelle Erfahrungen. Das sind jedoch Erfahrungen, die glaube ich fast jeder Junge in dem Alter macht, darüber spricht aber nie wieder jemand und erinnern kann sich auch keiner daran. ;)

 

Lebst du aktuell in einer polyamorösen/monogamen oder offenen Beziehung/Ehe?

Aktuell lebe ich in einer polyamorösen Ehe. Ich bin seit kurzem mit einer Frau verheiratet (aber seit 8 Jahren zusammen) und seit 2 Jahren führe ich noch eine Beziehung zu einem Mann. Die Beziehung der beiden untereinander ist aber nur freundschaftlicher Natur.

 

Hat deine Beziehungsform etwas mit deiner sexuellen Orientierung zu tun?

Ja, ich glaube auf jeden Fall, dass meine sexuelle Orientierung einen Anstoß für vieles gegeben hat. Durch sie war ich quasi gezwungen, die Welt eben nicht in strikten Schubladen zu betrachten. Wenn man einmal anfängt das Schwarz-Weiß-Denken abzulegen, ist man, glaube ich, generell offener für neue Dinge und verschließt sich nicht direkt vor allem. Ich habe mich selbst wirklich NIE in der Art von Beziehung gesehen, wie ich sie gerade führe. Dafür fühlt es sich jedoch verdammt normal an.

Ich denke meine Sexualität hat mir einfach ein bisschen offenbart, wer ich bin, und mir viele Antworten auf nie gestellte Fragen gegeben. Dass die Beziehung nun aber so entstanden ist wie sie ist, hat auch viel mit äußeren Umständen und vielen Zufällen zu tun und war nie aktiv ein Ziel von mir. Eine andere Beziehungsform außer Monogamie kann schließlich jeder führen - unabhängig von der eigenen sexuellen Orientierung.

 

Wann und warum hast du angefangen aktivistisch tätig zu werden?

Gestartet habe ich mit meinem Aktivismus Ende August 2020. Ich hatte schon die ein oder andere Erfahrung als bisexueller Mann gemacht und habe schon diverse Probleme rund um das Thema Bisexualität festgestellt. Das größte Problem war für mich damals die fehlende Sichtbarkeit. Wenn Rollenvorbilder fehlen, fühlt man sich erstens alleine und zweitens basiert das Wissen der Gesellschaft ausschließlich auf Vorurteilen, weil sie es nicht besser wissen - oder nicht gesehen; vorgelebt bekommen haben. Da ich in einer unheimlich privilegierten Situation bin, dass meine Partner:innen, Familie und Freund:innen hinter mir stehen, konnte ich aktiv werden und vielen bisexuellen Männern zeigen: Hallo ich bin Jan und ich bin bi und ich bin super normal und gut so. Ich wollte einfach vielen Menschen, allen voran aber Männern, die bi sind auch zeigen, dass sie damit wirklich nicht allein sind und - on top - noch ein paar Vorurteile entkräften. 

 

Tipps für andere Bi-Männer? Adressen?

Adressen: Leider nicht wirklich.  

Tipps: Ich habe mich damals in die Untiefen schwuler Dating Apps begeben. In mein Profil habe ich explizit geschrieben, dass ich auch auf der Suche nach Austausch mit anderen bisexuellen Männern bin. Klar, gibt es in den Apps auch viele schwierige Menschen, die nicht unbedingt hilfsbereiter Natur sind. Ich habe dort aber auch einige bisexuelle Männer kennengelernt, die durchaus an einem Austausch interessiert waren. Das hat mir damals zumindest geholfen, meine ersten Fragen loszuwerden und mich nicht so alleine zu fühlen. 

Geht queer feiern. Ihr seid valide und genauso ein Teil der Community. Das kann euch niemand absprechen. Genießt den Safe Space und lernt euch selbst kennen.

 

Hast du Gewalterfahrungen (in der Öffentlichkeit) aufgrund deiner sexuellen Orientierung erlebt?

Richtige gewalttätige Übergriffe habe ich seit meinem Outing nicht erlebt. In der Schulzeit war der Ton etwas rauer. 

 

Deine Einschätzung zum Thema Sichtbarkeit männlicher Bisexualität?

Die Sichtbarkeit bisexueller Männer ist katastrophal. Bisexuelle Menschen sind häufig unsichtbar, weil man sie entweder als hetero oder homo liest, wenn sie nicht grad in einer polyamourösen Konstellation wie ich leben. Das heißt, solange es viele Männer nicht explizit betiteln oder nicht out sind, sind wir für viele eben nicht existent - hinzu kommt Bi Erasure. Ich suche daher oft verzweifelt nach der Darstellung bisexueller Männer in Filmen und Serien. Zuletzt hatte ich mich wahnsinnig über das Outing von der Figur Loki bei disney+ als bi+sexuellen Charakter gefreut, auch wenn es nur bei einer Randbemerkung blieb. Wir brauchen mehr davon und dann gerne auch expliziter. 

Ich kenne selbst nach meinem Outing nur eine Handvoll Männer, die damit öffentlich und ganz selbstverständlich umgehen. Das ist zu wenig, allein deswegen, weil da noch weitaus mehr sind. Jeder sichtbare bisexuelle Mann hilft einem anderen bisexuellen Mann, sich selbst zu verstehen oder akzeptieren zu können. Zu begreifen, dass es mehr als hetero- oder homosexuell gibt, kann so hilfreich sein - auch für das Umfeld. 

 

Was meinst du sind die Gründe fürs „Versteckt halten“? 

Ich glaube, dass eines der größten Probleme die massive Angst vor Unverständnis und Verurteilung ist. Niemand möchte angezweifelt werden, gerade wenn man vielleicht selbst noch versucht herauszufinden, wer man ist und was man möchte. Ich glaube niemand hat Lust, sich die ganze Zeit erklären oder selbst „verteidigen“ zu müssen. Als ich damals bisexuelle Männer traf, war ich überrascht, wie viele es doch gibt, und dass ich gar nicht allein damit war. Aber der Großteil bisexueller Männer ist nicht out. Wenn man befürchtet, von Hetero- und Homo-Seite stigmatisiert zu werden und dann auch noch denkt, dass man alleine mit dem Thema ist, kann ich nachvollziehen, wieso man es vielleicht erstmal für sich behalten möchte.

Auch ich dachte am Anfang: „Ja gut als bisexueller Mann muss ich mich ja auch gar nicht outen, solange meine Frau cool mit allem ist, muss das ja keiner wissen und ich bin nur als hetero sichtbar. Damit bin ich auch erstmal total gut gefahren und ich hatte gar kein Bedürfnis, mich öffentlich zu outen. Ich glaube, dass es vielen anfangs ähnlich geht. Aber ich fand das „Versteckspiel“ und ständige Fragen nach Diskretion, wenn es zu One Night Stands kam, unfassbar anstrengend. Als ich dann doch den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt habe, war das ein unfassbar befreiendes Gefühl. Zu sehen, dass meine Sexualität doch von vielen akzeptiert wird, die mir nahestehen, tat super gut. 

 

Stichwort: toxische Männlichkeit. Wie willst du darüber aufklären?

Toxische Männlichkeit ist einfach überall und ein ganz dicker Kern von so vielen Problemen in der Gesellschaft. Ich habe für mich erkannt, dass auch viele Dinge, die mich in meiner Entwicklung gehemmt haben, eben mit toxisch männlichem Verhalten zusammenhängen. Ich erzähle daher oft und sehr genau, wie meine Vergangenheit war, und was dort alles so vorgefallen ist. Meine ganze Schulzeit war geprägt von toxischer Männlichkeit. Vom ersten Gong in den Unterricht bis zum Sportunterricht hat sich alles angefühlt wie ein einziger Eierlauf.

Ich war anders; ich mochte kein Fußball; ich war respektvoll zu den Mädchen und schloss tolle Freundschaften mit ihnen; war eher ruhiger; zog mich anders an als andere Jungs in meinem Alter. Ich habe nicht ins typische Bild eines Jungen gepasst und das wurde oft genug hervorgehoben: „Du bist doch schwul, du bist ein Mädchen.“ Das war super verwirrend für mich, weil ich mich zu Mädchen hingezogen gefühlt und gleichzeitig als Junge identifiziert habe. Schwulsein und Femininität waren etwas Schlechtes. Für mich war klar, dass ich das gar nicht sein wollte. Und ich fühlte mich doch wie ein „Mann“, also darf ich nicht feminin, nicht schwul sein.

So Konflikte sollte niemand mit sich austragen müssen. Ich will daher ein positives Beispiel dafür sein, dass Männlichkeit super variabel ist: Ich kann eher unauffällig und angepasst rumlaufen und am anderen Abend Netzshirts oder Croptops anziehen. Ich kann Hanteln im Gym stemmen und abends in einen Vogue Femme Tanzkurs gehen. Und darüber rede ich und mache kein Versteckspiel daraus. Ich möchte wenigstens damit einen safe space für andere erschaffen. In meiner Anwesenheit muss sich niemand verstellen.

 

Was meinst du, ist die größte Hürde, die unsere Gesellschaft in Bezug auf das Thema Bisexualität zu nehmen hat?

Das Verständnis erlangen, dass der Mensch nicht monosexuell sein muss. Akzeptanz zu entwickeln für Diversität und diese in all ihren Facetten anzunehmen und als bereichernd zu betrachten. Wenn ein Mensch den Mut fasst, sein wahres Selbst zu offenbaren, indem er sich zum Beispiel outet, dann sollte es keinen einzigen Menschen geben, der das anfängt anzuzweifeln. Bisexualität passt nicht in Schubladen und das passt vielen nicht, da die Gesellschaft in Kategorien denkt. Wenn das irgendwann abgelegt wird, kann vielleicht ein Grundverständnis entwickelt werden, dass man Menschen von Anfang erstmal akzeptiert, anstatt zu stigmatisieren. 

 

Mehr über Jan und seine Arbeit findet ihr auf Instagram:

@biyourside_de

@jirafajan

 

Danke Jan,

für deine Offenheit und das Teilen deiner persönlichen Geschichte.